All my big mistakes are when I try to second-guess or please an audience. My work is always stronger when I get very selfish about it. – David Bowie
Klar kann man versuchen, zu erraten, was dem Publikum gefallen wird. Sinnvoll ist es nicht. Nicht, wenn man es ernst meint mit seiner Kunst.
Kein Publikum dieser Welt kann ahnen, welche Kunst noch in einem Künstler steckt. Würde ein Künstler sich daran ausrichten, was dem Publikum gefällt, er müsste sich zwangsläufig beschränken. Das Publikum weiß schlicht nicht, was ihm gefallen würde. Es weiß nur, was ihm bereits gefällt.
Strebt man danach, dem Publikum zu gefallen, legt man die falschen Maßstäbe an. Zu niedrige. Man ist zu vorsichtig. Betritt neue Wege nicht mutig. Was, wenn der Weg nicht gefällt?
Hätte Miles Davis nur danach gefragt, was dem Publikum gefällt, er hätte niemals „Bitches Brew“ aufgenommen, Eddie van Halen nie sein „Eruption“-Solo gespielt, Strawinsky nicht „Le Sacre du Printemps“ komponiert. Nein, wer nur darauf schielt, zu gefallen, der geht nicht weit genug.
Woher soll das Publikum wissen, was ihm gefällt?
Woher soll das Publikum auch wissen, was ihm gefällt? Es versteht nicht annähernd so viel von der Kunst, wie man selbst. Weiß nicht, welcher Song noch möglich wäre. Es kann ja meist nicht einmal erklären, was ihm gefällt. Es also fragen? Das kann nicht funktionieren.
Ist man deshalb selbstsüchtig? Künstler wie Miles Davis, Eddie van Halen oder Igor Strawinsky mochten auf sich gestellt sein. Nur für sich arbeitend. Nur das eigene Urteil als Maßstab akzeptierend. Es geht ihnen nur um das Kunstwerk, das keinem anderen Zweck dient, als vollendet zu sein. Deswegen nannte Bowie seinen Ansatz „selfish“.
Aber was ist mit den anderen Künstlern? Den Entwicklern und Kreativen in den Unternehmen? Für sie gilt dasselbe und sie sind dabei gerade nicht selbstsüchtig.
Hätte Apple danach gestrebt, es den Kunden recht zu machen, wäre das iPhone nicht entstanden. Niemand hätte ein Smartphone ohne Tastatur gewollt, wenn man ihn gefragt hätte. Auch nicht, wenn man es ihm gezeigt hätte. Hätte Apple bloß gefallen wollen, sie hätten ein hübscheres Handy entwickelt, kein vollkommen neues.
Unternehmen sind gerade nicht selbstsüchtig, wenn sie Bowies Ansatz wählen. Denn es geht ihnen nicht um das Kunstswerk als solches. Produkte und Ideen existieren als Lösung für ein Problem. Kein Kunde versteht dieses Problem so gut wie der sorgfältige Entwickler. Zwar ist er in gewisser Weise genau so auf sich alleine gestellt wie andere Künstler. Aber er entwickelt nicht für sich.
Dem Publikum zu gefallen, ist zu unambitioniert
Die beste Lösung findet er dann, wenn er das Publikum versteht, wenn ihm die Bedürfnisse der Kunden am Herzen liegen. Nicht dann, wenn er danach fragt, was den Kunden gefallen würde, sondern wenn er es gerade nicht tut, weil er schonungslos nach der besten statt der gefälligsten Lösung sucht. Dann macht er es ihnen nicht recht, sondern richtig. (Und damit am Ende trotzdem auch recht.)
Natürlich gilt das auch für Ihre Vorträge. Wie sollte das Publikum beurteilen, ob es etwas über String-Theorie lernen möchte, wenn es gar nicht weiß, was das eigentlich genau ist und wieso es nicht nur spannend, sondern hochrelevant für ihr Problem ist? Wie kann es beurteilen, ob ein Vortrag ohne Folien richtig wäre, wenn es nur öde PowerPoint-Vorträge kennt?
Nein, dem Publikum zu gefallen, ist zu unambitioniert. Das Richtige zu tun, darauf kommt es an. Und Sie sind die Person, die am besten beurteilen kann, ob Ihre Idee vollendet ist, weil niemand das Problem, das Sie lösen, so gut verstanden hat wie Sie.
Wenn es eine gute Lösung ist, dann wird sie gefallen. Wenn es richtig ist, dann auch recht.