Meinung sollte das Ergebnis, nicht der Beginn von Kommunikation sein
Anke Tröder über den Stand der Dinge:
2015. Herbst. Für mich verändert sich gerade meine ganze Berufswelt als Präsentationsdozentin. Seit Jahren beschwören wir aus didaktischen Gründen die Bilder und die Emotionen. Ist ja auch alles richtig. Lernbiologisch. Aber. Inzwischen beschwöre ich innerlich nur noch Zahlen und Fakten. Bilder scrolle ich weg. Ich traue ihnen nicht mehr; Emotionstexten ebenso wenig. Wenn keiner widerspricht, sollte das einem zu denken geben. Es muss doch eine Welt möglich sein jenseits faktenungecheckter TED-Rührseligkeit, eine Welt, in der Zahlen nicht stören, sondern als valide Grundlage für vernünftige Entscheidungen gelten. Denken statt fühlen als neues Credo. Natürlich lügen Statistiken genauso gut wie Bilder. Aber wenn wir die Zahlen nicht mal mehr sammeln, nur noch den Beifall …? Was denn dann?
Sie hat recht (wie eigentlich immer), aber ich sehe noch einen anderen Schluss.
Mir scheint heute der Prozess des Erkenntnisgewinns und Erkenntnisvermittelns auf den Kopf gestellt.
Eine gute Präsentation (oder ein guter Text, das Folgende gilt für beides, auch wenn ich nur einen Begriff verwende) ist das Ergebnis sorgfältiger Analyse und Recherche. Sie basiert auf Fakten. Sie darf die Fakten zeigen, muss es aber nicht. Denn eine gute Präsentation lässt das Publikum etwas verstehen, was es vorher nicht verstanden hatte. Sie macht dem Publikum dieses Verständnis so einfach wie möglich. Wenn das Thema relevant für das Publikum ist, dann berührt eine gute Präsentation. Wenn die neue Erkenntnis interessant genug ist, möchte das Publikum mehr wissen.
Eine gute Präsentation ist also für das Publikum der Beginn eines Erkenntnisprozesses. Ich verstehe etwas. Es interessiert mich, berührt mich. Ich möchte mehr wissen. In diesem Sinn transformiert eine gute Präsentation das Publikum, weil sie seinen Blick auf die Welt verändert und neugierig auf neue Blickwinkel macht (auch dann, wenn der neue Blickwinkel z.B. heißt: „Ich kaufe dieses Produkt.“).
Das muss scheitern, wenn der Blick, der am Ende dieser Transformation steht, verzerrt ist. Wenn er nicht auf Zahlen, Daten, Fakten und deren Analyse basiert, nicht auf Erfahrung, Recherche und Diskussion, sondern auf Meinung. Heute zählt zu oft nur noch Meinung. Meinung ist dann nicht mehr das Ergebnis der Recherche, sondern der Beginn; in der Präsentation wiederum als Ende der Diskussion gedacht, nicht als deren Anfang. Die Präsentation oder der Text soll geliked, retweeted oder geshared und nicht kritisiert werden.
Meinung ist, wie Tim Bruysten sagt, die brutalste Methode der Komplexitätsreduktion. Wenn aber die Komplexitätsreduktion schon vor der Diskussion passiert, dann ist das ein guter Grund, Äußerungen zu misstrauen, so wie Anke es tut.
Niemand möchte heute mehr Wissenschaft, die die Wissenschaftler nicht erklären können, Produkte, deren Nutzen die Hersteller nicht vermitteln können, oder Politik, die im Hinterstübchen stattfindet. Deswegen arbeite ich – und viele andere – so intensiv daran, den Menschen zu erklären, wie wichtig es ist, Botschaften auf den Punkt zu bringen, Bedürfnisse zu adressieren und Emotionen anzusprechen. Wichtig ist das als Türöffner. Wer nicht auf den Punkt kommt, wer nicht berührt, der erreicht erst gar niemanden.
Nicht die Bilder sind das Problem, auch nicht die emotionale Ansprache, sondern der fehlende Unterbau, gewissermaßen der „Missbrauch“ der Methoden, um ein Massenpublikum zum Liken, Kaufen, Spenden, Shitstormen u.a. zu verführen. Die Polemik im Social-Media-Web, die Banalität der Werbung oder die Reduktion von Wissenschaft auf tweetbare Headlines, die unzulässig verallgemeinert sind und dann jahrzehntelang falsch herumgeistern, sind auch eine Folge der Methoden, die wir lehren.
Dem kann man Rigorosität entgegenhalten. Kritisch hinterfragen, in sich hineinfühlen, Motive in Frage stellen, andere Sichtweisen berücksichtigen, nach Fakten fragen, nachrecherchieren. Und dann nicht abnicken, liken, applaudieren, nur weil alle es tun.
Dabei geht es nicht um „Denken oder Fühlen“, sondern um „Denken und Fühlen“, weil das Eine ohne das Andere in die Irre führt. Wenn nämlich Gefühle nicht gedanklich hinterfragt werden, entsteht Bullshit. Wenn umgekehrt Fakten nicht emotional hinterfragt werden, entsteht Skrupellosigkeit.
Ich glaube, der Schlüssel liegt auf der Empfängerseite. Solange die Menschen Erfolg mit Banalisierung haben, werden sie darauf setzen. Wenn aber nicht mehr das geliked wird, was gut klingt oder gerade in ist, sondern das, was nach kritischer Prüfung überzeugt, wären wir einen Schritt weiter.
Es ist ok, dass die Absender in diesem Spiel ihr bestes Spiel spielen. Bilder ziehen Blicke auf sich, Emotionen funktionieren, gute Überschriften erzeugen Klicks. Wir brauchen nicht darauf zu hoffen, dass die Absender diesen Vorteil abgeben. Sie werden weiterhin so gut spielen wie sie können.
Was wir aber dagegen halten können, ist Applaus für die richtigen Dinge – jeder möge für sich entscheiden, was das ist – und selbst das beste Spiel mit den besten Methoden zu spielen, allerdings auf einer rigorosen Grundlage. Nicht bei der Meinung zu starten, sondern mit sorgfältiger Recherche, Daten sammeln, analysieren. Dann jedoch verdichten und so verständlich wie möglich präsentieren. Nicht Daten statt Bilder, sondern Daten als Grundlage der Bilder, damit die Empfänger anschließend so neugierig sind, dass auch sie mehr wissen möchten.
Wenn gute Texte und gute Präsentationen wieder der Anfang statt das Ende des Erkenntnisprozesses bilden, dann wäre viel erreicht.
[Foto: flickr.com/Transformer18, Lizenz: CC-BY]