Ein Fakt ist ein Fakt ist …

… möglicherweise veraltet und trotzdem noch präsent, weil wir es damals in der Schule so gelernt und danach nie wieder hinterfragt haben.

… möglicherweise aus dem Kontext gerissen, so dass das, was wie ein Top-Wert aussieht, in Wirklichkeit eine alarmierende Entwicklung anzeigt.

… möglicherweise im Vergleich zu einem anderen Fakt ganz anders zu bewerten, denn 5 Millionen Euro sind im Vergleich zu 500 Milliarden Euro ziemlich wenig.

… möglicherweise gar nicht repräsentativ, weil ein Einzelereignis zwar auch ein Fakt ist, aber möglicherweise eine krasse Ausnahme darstellt.

Ich erinnere mich noch ziemlich gut daran, als ich Hans Roslings TED-Vortrag über Bevölkerungsentwicklung zum ersten Mal sah. Ich war sowohl von seiner Art zu präsentieren fasziniert (und analysiere sie noch heute oft in meinen Workshops) als auch von dem, was er präsentierte.

Offenbar hatten fast alle Menschen (ich eingeschlossen) nicht nur keine Ahnung davon, wie die Welt wirklich ist, sie hatten sogar eine krass und konsequent falsche Vorstellung davon, was in der Welt passiert. Selbst hochgebildete Menschen schätzten die Lage der Weltbevölkerung vollkommen falsch ein, weil sie die Fakten entweder nicht kannten oder diese Fakten veraltet, falsch interpretiert oder aus dem Kontext gerissen waren.

Noch erschreckender allerdings finde ich, dass heute, 13 Jahre später, die meisten Menschen nicht besser abschneiden als damals. Noch immer ist das Wissen über den Zustand der Welt erschreckend falsch. Es ist nicht einfach nur nicht vorhanden. Es ist krass falsch. Wir schneiden im Wissenstest schlechter ab als Schimpansen (Roslings Analogie für eine zufällige Auswahl der Antworten auf seine Fragen über den Zustand der Welt). Angst macht mir dabei vor allem die Vehemenz, mit der dieses falsche Wissen ungehemmt benutzt wird – ohne auch nur einen Funken des Zweifels oder der kritischen Distanz.

Ich halte deshalb Roslings Buch Factfulness für ein ganz wichtiges Buch. Er beleuchtet darin zum einen viele Vorurteile über die Lage der Welt mit Fakten und ordnet sie ein.

Wichtiger aber noch als diese beispielhaften Fakten ist das eigentliche Anliegen Roslings: ein leidenschaftliches Plädoyer für einen verantwortungsvollen Umgang mit Fakten und einen vernünftige(re)n Entscheidungsprozess. Rosling entlarvt, wie selbst die vermeintlichen Eliten – die, die es eigentlich wissen müssten- im Umgang mit Fakten in etliche Fallen tappen. Daraus leitet er pragmatische Faustregeln ab, die einen vernünftigen Umgang mit Fakten und eine mehr auf Fakten gestützte Entscheidungskultur zumindest wahrscheinlicher machen. Das alles tut er auf seine ihm eigene, ganz und gar nicht trockene Art, so dass der gewichtige Inhalt trotzdem leicht daher kommt.

Eine klare Leseempfehlung: Factfulness von Hans Rosling.

Gedanken zur Diskussionskultur

Meinungsfreiheit bedeutet, dass man seine eigene Meinung haben darf.

Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass man immer seine Meinung äußern muss.

Eine Meinung zu haben, bedeutet noch nicht recht zu haben.

Recht zu haben bedeutet nicht immer, dass die anderen unrecht haben.

Dass die anderen unrecht haben, bedeutet noch nicht, dass man recht hat.

Recht zu haben macht noch nicht moralisch überlegen.

Nur weil jemand unrecht hat, ist er noch nicht böse.

Man darf seine Meinung ändern.

Es hilft, erst zuzuhören, bevor man sich eine Meinung bildet.

Es hilft, Fragen zu stellen.

Eine Frage ist nicht unbedingt eine Meinungsäußerung.

Nicht jede Äußerung ist eine Meinungsäußerung.

Kein Mensch formuliert perfekt.

Das, was jemand sagt, ist nicht unbedingt das, was sie meint.

Es hilft, erst nachzudenken, bevor man anderen eine Meinung unterstellt.

Sarkasmus hilft selten.

Arroganz auch nicht.

Beschimpfungen und Hass erst recht nicht.

Es lohnt sich, für eine offene Diskussionskultur einzutreten, in der jeder tatsächlich sagen darf, was er denkt – ohne Angst haben zu müssen, dafür beschimpft, beleidigt oder ausgelacht zu werden.

Es lohnt sich, offen für andere Meinungen zu bleiben.

Es lohnt sich, respektvoll miteinander umzugehen.

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Dr. Michael Gerharz