Eine spannende Geschichte zu erzählen ist eigentlich ganz einfach, wenn man diesem Rat des Schriftstellers Elmore Leonard folgt:
„A story is real life with the boring parts left out.“
Einfach alles langweilige weglassen und fertig ist die spannende Geschichte. Oder der spannende Vortrag. Was aber, wenn man die vermeintlich langweiligen Teile gar nicht weglassen kann? So wie es anscheinend bei „technischen“ Themen der Fall ist, wo eine „hohe Faktendichte“ besteht?
„Technisch“ heißt „faktisch“ und wo es um Faktisches geht, kann man das Faktische eben nicht weglassen. Und da Fakten=trocken=langweilig sind, hat man bei manchen Themen eben Pech. Da ist dann auch Elmore Leonard mit seinem Rat am Ende.
Oder?
Nein, denn die Voraussetzung ist falsch. Faktisches ist nicht automatisch langweilig.
Was ist spannend?
„Spannend“ ist ein anderer Ausdruck für „Ich will wissen, wie es weitergeht.“ Doch brauche ich einen Grund, um das wissen zu wollen. Erst wenn ich diesen Grund habe, will ich es wissen. Eine pure Aufzählung von Fakten liefert diesen Grund nicht.
Das Problem technischer Präsentationen ist jedoch selten, dass es einen Grund nicht gäbe, sondern dass er nicht mitgeliefert wird.
Leonards Rat hat nämlich auch einen ersten Teil: „A story is real life …“. Das wahre Leben. Und genau das ist der Knackpunkt. Eine technische Präsentation kann dann spannend sein, wenn sie einen Bezug zum Leben hat – zum wahren Leben – und wenn die Zuhörer ihn erkennen können.
Wenn mich also Stefan List und Tim Themann im Rahmen eines sog. Blogstöckens fragen
Welche Formate gibt es für die Präsentationen/Schulungen von technischen Themen, bei denen eine hohe „Faktendichte“ besteht?
dann geht es nicht unbedingt darum, wie man Fakten hinter vermeintlich spannenderen Anekdoten, Bildern o.ä. versteckt oder aufpeppt. Es geht erst einmal darum, herauszufinden, wo die Spannung in dem Thema, mithin in den Fakten steckt. Mit anderen Worten: Es geht darum, herauszufinden, inwiefern die Fakten das Leben der Zuhörer berühren, beeinflussen, verändern.
Was ist spannend an den Fakten selbst?
Wissenschaftler hören sich die Vorträge auf einer Konferenz an gerade wegen der Fakten. Sie wollen die Fakten hören. Sie wollen keine bunten Bildchen und keine persönliche Kindheitsgeschichte, mit der ich meine Verletzlichkeit zeige. Sie wollen die Fakten.
Aber sie wollen trotzdem keinen langweiligen Vortrag.
Hm. Und jetzt?
Klar, man kann zunächst hinterfragen, so wie Tim es tut, welche Fakten denn überhaupt sein müssen und in welcher Ausführlichkeit, wie man also die Faktendichte reduziert. Aber das hat seine Grenzen. Wenn ich jemanden schulen soll, dann muss derjenige am Ende eben wissen, was der Lehrplan vorgibt. Wenn ich meine wissenschaftliche These belegen möchte, dann muss ich die Daten zeigen, die sie stützen. Wenn ich eine neue Methode vorstelle, dann muss ich erklären, wie sie funktioniert.
Wie also kann ein Vortrag faktisch und spannend zugleich sein?
Indem man zuerst die eigene Perspektive und dann die Reihenfolge des Vortrags ändert.
Perspektive wechseln
Warum sollten die Zuhörer denn eigentlich hören wollen, was ich ihnen zu sagen habe? Was ist es, dass sie 60 Minuten ihrer Zeit investieren lässt, um meine Fakten zu hören?
Sind sie neugierig, wie wir es schaffen konnten, eine Frage zu knacken, an der sich ein ganzes Forschungsfeld 4 Jahre lang die Nase gestoßen hat? Tragen sie Verantwortung und haben deswegen Angst vor den Konsequenzen, die eintreten, wenn sie die Prozedur aus §4 der Sicherheitsrichtlinie falsch anwenden? Helfen ihnen die Schlüsse aus den Fehlern meines Experimentalaufbaus, um ganz neue Messbereiche in ihren eigenen Experimenten zu erreichen? Wollen Sie schlicht wissen, wie sie ein paar Euro mehr herausschlagen können, wenn sie die neuen Regeln der Reisekostenabrechnung richtig anwenden?
Warum sollten Ihre Zuhörer hören wollen, was Sie ihnen zu sagen haben? Im Ernst, warum sollten sie? Durch Ihre Antwort auf diese Frage merken Ihre Zuhörer: „Der meint ja mich!“ Und sie erkennen, warum Sie ihnen all die Fakten erklären. Sie wollen sie wissen, weil sie sie betreffen.
Fakten gehören dann in einen Vortrag, wenn die Zuhörer sie hören wollen. Es gibt keine Grenze für die Zahl, die Tiefe oder die Dichte an Fakten in einer Präsentation, solange die Zuhörer danach lechzen, sie zu hören.
Die Methode für hohe Faktendichte lautet: Die Zuhörer dahin zu bringen, dass sie die Informationen hören wollen, bevor man sie ihnen gibt.
Reihenfolge ändern
Und wenn man sie ihnen gibt, dann gibt man sie ihnen so, dass sie sie verstehen können.
Die Sendung mit der Maus macht es immer so. Bevor sie erklärt, wie die Adresszuordnung im Internet funktioniert, vergleicht sie das Prinzip mit der Telefonauskunft: „Wenn man eine Nummer nicht kennt, dann ruft man die Auskunft an. Im Internet gibt es auch so eine Auskunft.“ Und dann folgen die Fakten. Und wenn die Fakten dann folgen, dann weiß man schon, was man denken soll.
Umgekehrt würde es einen gewaltigen gedanklichen Schritt im Kopf der Zuhörer erfordern. Es mag zwar logisch erscheinen, zunächst alle Fakten zu präsentieren und erst anschließend ein Beispiel zu nennen. Doch wird das Verständnis ungleich schwerer. Denn die Fakten wollen übersetzt werden in die Gedankenwelt der Zuhörer, die sich fragen: „Wie meint er das?“, „Ist das so ähnlich wie?“, „Ist das jetzt ein Spezialfall?“, „Welche Konsequenzen hat denn das?“ „Für mich?“.
Langweilig bleibt es, solange es abstrakt bleibt. Diese Abstraktheit aufzulösen, ist der Schlüssel zu lebhaften technischen Präsentationen. Was bedeuten die Fakten für mich? Wie helfen sie mir selbst weiter? Wie ist es gewesen, hinter die Lösung jenes Rätsels zu kommen. Je greifbarer die Fakten für die Zuhörer werden, desto eher verstehen sie, was die Fakten bedeuten; desto eher ist es spannend.
Die Methode, um Fakten lebendig zu präsentieren, lautet: Erst das konkrete Beispiel, dann die abstrakte Verallgemeinerung der Fakten. Erst das Verständnis, dann die Korrektheit und Vollständigkeit.
Wer einen Namen für die Methode braucht, der darf sie gerne Die-Sendung-mit-der-Maus-Methode nennen, denn die machen das immer so.
Hilfe zur Selbsthilfe
Bei aller sorgfältigen Vorbereitung: Eine Präsentation ist ungeeignet, eine hohe Menge an Informationen nachhaltig zu speichern. Wissen ist nicht das Ziel einer Präsentation. Neugier zu wecken und Verständnis zu schaffen ist das, was man mit einer Präsentation gut erreichen kann.
Insofern geht es in einer Präsentation nicht unbedingt darum, dass die Zuhörer nach dem Vortrag alles wissen, was ich ihnen zu sagen habe, sondern insbesondere darum, dass es ihnen jetzt leichter fällt, das relevante Wissen abzuspeichern oder zu finden, weil ich ihnen Regeln gezeigt, Eselsbrücken gebaut, sie auf Fallstricke hingewiesen, kurz: sie an meiner Erfahrung habe teilhaben lassen.
Ob Sie dann klassisch präsentieren, a là Pecha Kucha, mit Prezi, Flipchart oder spazierend im Wald, ist nebensächlich, solange Sie
- die richtige Perspektive einnehmen, damit die Zuhörer danach lechzen, die Fakten – endlich – zu hören.
- mit der Sendung-mit-der-Maus-Methode erst auf Verständnis und danach auf Korrektheit und Vollständigkeit zielen.
- sich stets fragen: Was muss unbedingt in die Präsentation und was ist im Handout besser aufgehoben?
Eine spannende Geschichte zu erzählen, ist eigentlich ganz einfach.
[Dieser Beitrag greift das sog. Blog-Stöckchen zum Thema „Formate für Vorträge mit hoher Faktendichte“ auf, dass mir Tim Themann zugeworfen hat. Ich reiche die Frage gerne weiter und freue mich auf weitere Antworten und Gedanken, insbesondere von Peter Claus Lamprecht und Anke Tröder.]